„Die Bevölkerung wünscht sich den vermehrten Einsatz von Digitalisierung in Bildung und Verwaltung“

15. September 2021

Im „Digitalen-Macher”-Interview erläutert die Parteienforscherin Dr. Isabelle Borucki warum Digitalisierungsthemen bislang im Wahlkampf kaum Platz eingenommen haben und welche Partei für sie „Digitalpartei“ ist und wer digitale Tools am besten für sich einsetzt.

Zur Person

 

Isabelle Borucki vertritt derzeit die Professur für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Siegen und leitet „DIPART: Digitale Parteienforschung – Parteien im digitalen Wandel“ – eine Nachwuchsforschungsgruppe an der NRW School of Governance, Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen. Davor forschte sie am Fach Politikwissenschaft der Universität Trier, wo sie auch 2013 promoviert wurde. Isabelle Borucki forscht zu politischen Organisationen, insbesondere Parteien, vergleichend zu Regierungen sowie zu Informationstechnologie und der Digitalisierung von Politik. Sie ist Sprecherin des AK Politik und Kommunikation der DVPW, der Standing Group Internet & Politics sowie Mitglied des Steering Committee des internationalen Digital Parties Research Network. 

 

Das Thema „Digitalisierung“ scheint in diesem Wahlkampf eigentlich bei allen Parteien keine große Rolle zu spielen, so eine aktuelle Analyse des Social-Media-Monitoring Unternehmens bc.lab. Woran machen Sie das fest? 

bc.lab Walkampf Analyse 2021

Isabelle Borucki: Das kommt darauf an, was man erstens unter Digitalisierung versteht und zweitens, welche Quelle man zu dieser Betrachtung heranzieht. Das Politikfeld Digitalisierung spielt in den über 707 Seiten der Wahlprogramme der Parteien schon eine Rolle, wenn man sich den Wahlkompass Digitales ansieht. Allerdings spielen die Wahlkampagnen diese Themen nicht prominent in den Vordergrund und schon gar nicht auf Twitter, was ja eine Quelle der bc.lab Erhebung war. Zudem unterscheide ich noch die digitalen Wahlkampftechniken von der Thematisierung digitaler Themen, etwa dem Breitbandausbau oder 5G oder KI. Hiervon hat man bisher wirklich wenig gesehen, sondern im Wahlkampf ging es bisher verstärkt um Personen, deren Verfehlungen, Versäumnisse und vermeintliche oder tatsächliche Leerstellen in Sachen Kompetenz und Sachverstand. Will heißen: Da es im Wahlkampf bisher ohnehin stark personenzentriert zuging, hatten die Parteien schlicht kaum Möglichkeiten, mit digitalpolitischen Themen Inhalte zu setzen und hier zu punkten. 


Die CDU und auch die CSU haben vor 2 Wochen mit einer großen Veranstaltung in Berlin, der „CDigitallyUnited“, versucht, das Thema „Digitalisierung“ im größeren Stil aufzugreifen. Welches Kalkül steckt da aus Ihrer Sicht dahinter? 

 

Isabelle Borucki: In erster Linie ging es mit dieser Veranstaltung sicherlich darum, zu zeigen, dass man auch als große und “alt” wahrgenommene Partei in der Lage ist, digital zu denken. Allerdings straft der eigene, etwas diffus wirkende digitale Wahlkampf der Partei diesen Anspruch Lügen. Das wirkt alles noch nicht sehr zielgerichtet und orchestriert, professionalisiert sind die Beiträge und Auftritte allemal.


Wie sehr kann der CDU ein Youtuber wie Rezo mit seinen Beiträgen schaden? 


Isabelle Borucki: Das können Influencer bzw. Sinnfluencer jeder Partei. Nur scheinen CDU und SPD eben durch ihre nun langjährige Regierungszeit hier besonders angreifbar. Insofern ist das kein Alleinstellungsmerkmal der CDU. Es wäre nur schlecht, wenn auf die neuerlichen Rezo-Videos wieder mit PDF‘s reagiert würde. Aber aus dem 2019er Video hat die CDU sicherlich gelernt. 


Die Grünen thematisieren „Digitalisierung“ gemäß Erhebung kaum. Auf der anderen Seite scheint Frau Baerbock mit Ihrem Wahlkampfteam und Ihrem Alter die jungen Wähler im Internet authentisch ansprechen zu können. Sehen Sie hier einen Widerspruch? 


Isabelle Borucki: Nein, das ist der Unterschied zwischen der Bearbeitung des Themas Digitalisierung als Politikfeld und dem Einsatz digitaler Instrumente zur zielgerichteten Ansprache von Wählern. Und die sind bei den Grünen einfach deutlich jünger als bei allen anderen Parteien. 


Welche Partei ist für Sie die „Digitalpartei“ in Deutschland? 


Isabelle Borucki: Das kommt darauf an, welchen Blickwinkel man einnimmt. Wenn es um digitalpolitischeThemen geht, so ist das in erster Linie die FDP, dann die Grünen, aber auch die Union und SPD haben viele digitalpolitische Konzepte im Gepäck. Wenn wir uns dagegen die Nutzung von Digitaltechnologie für die Parteiarbeit ansehen, sind die Grünen am weitesten, was die Vielfalt der Instrumente angeht, die CDU hat professionell aufgestellte und ineinander greifende Instrumente, während die AfD in ihrem Innern nahezu analog funktioniert.


Deutschland hinkt einerseits bei der Digitalisierung international hinterher, andererseits sind wir Vorreiter bei restriktiven Maßnahmen, wie Upload-Filter und DSGVO. Spiegelt die geringe Bedeutung der Digitalisierung im Wahlkampf eine generelle Ablehnung deutscher Parteien gegenüber der Digitalisierung wider?

 

Isabelle Borucki: In einer aktuellen Befragung von Parteimitgliedern konnten wir herausfinden, dass diese Digitalisierungsfragen und damit verbundenen Modernisierungen generell zugeneigt sind, allerdings skeptisch sind, ob die Implementation vor Ort gelingen kann. In Punkto digitalisierungspolitischer Themen wurde vielfach der Wunsch geäußert, hier noch mehr zu tun, im übrigen auch von CDU-Mitgliedern. Die allgemeine Bevölkerung wünscht sich jedoch eine deutlichere Betonung solcher Themen insbesondere was die Digitalisierung der Verwaltung, von Schulen und generell im Bildungssektor anbelangt.

In diesem Zusammenhang möchten wir auch gerne auf ein Interview hinweisen, welches von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde. Im Interview geben Dr. Isabelle Borucki und Daniel Ruttloff einen Überblick über die digitalen Themen und Konfliktlinien im Bundestagswahlkampf 2021. Obwohl alle im Bundestag vertretenen Parteien die Digitalisierung von Bildungseinrichtungen und Verwaltungsprozessen fordern, unterscheiden sich die Ideen zur Umsetzung und Schwerpunkte deutlich.

Zum Interview


Vielen Dank an Dr. Isabelle Borucki für das spannende Interview sowie dem Social-Media-Monitoring Unternehmen bc.lab für die Erhebung der Daten im Bundestagswahlkampf 2021.

Anhang
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